Natucate
Sabbatical: Im Ausland findest du viel – insbesondere dich selbst
Nicole Zeitler ist 39 und die Macherin von meinweg-deinweg – einer Plattform, die sich mit Selbstfindung, Sinnfindung und Persönlichkeitsentwicklung beschäftigt. Hier schildert sie ihren ganz persönlichen Weg zur Selbstfindung.
Selbstfindung. Ziemlich großes Thema. War es immer schon, zumindest für mich.
Mit 26 ging ich ins Ausland. Einfach so. Ohne Vorbereitung. Ich buchte ein Ticket und fuhr los. In ein Land, dessen Sprache ich nicht sprach.
Schräge Sache, ich weiß. Wenn ich den Leuten davon erzähle, tippen sie sich an den Kopf und sagen: „Nicole, du spinnst! Das ist doch gefährlich!“
Kann ich verstehen. Heute. Heute würde ich das mit Sicherheit nicht mehr tun und mich lieber einer Organisation wie Natucate anvertrauen. Damals jedoch konnte ich nicht anders. Ich fühlte mich gefangen. In mir selbst.
Alltagsfrust und Orientierungslosigkeit
Zu diesem Zeitpunkt war ich von meinem Leben ziemlich genervt. Ich lebte als Neu-Single und Studienabbrecher schon seit Wochen bei meiner Freundin auf der Couch. Den Kontakt zu meinen Eltern hatte ich abgebrochen.
Ich wusste nicht, wie ich beruflich und privat weitermachen sollte, war völlig orientierungslos. Neben all diesen unbedeutenden Kleinigkeiten jobbte ich als Geschenke einpackender Weihnachtsmann in einem Kaufhaus. Von irgendwas muss der Mensch ja leben.
Alles um mich herum war zu dieser Zeit einfach nur trist und grau, die Menschen verzogen sich in ihre Behausungen. Genauso wie ich. Nur dass der Ort, an dem ich wohnte, nicht meine Behausung war. Ich war eine Laus, ein Nutznießer, ein Mensch ohne Perspektive.
Perfekt also, um miese Laune zu haben und jeden Tag aufs Neue seinem Selbsthass zu frönen.
Sabbatical als Neuorientierung
Immer mehr mischte sich Orientierungslosigkeit mit Frust was zur Folge hatte, dass ich einen ganz bestimmten Gedanken fast ständig mit mir herumschleppte. Einen Gedanken, der sich nicht wegschieben ließ. Ein Gedanke, der plötzlich ganz deutlich und in Neonröhren auf meiner Stirn geschrieben leuchtete:
Du. Musst. Weg. Sofort!
Irgendwann hielt ich es nicht mehr aus und buchte ein Ticket. One way. Das Ziel: Ein Land, in dem ich mir Sonne erhoffte.
Keine anspruchsvollen Kriterien. Keine Vorbereitung. Für mich jedoch ein Befreiungsschlag.
Das damit verbundene Gefühl: Unendliche Erleichterung.
Auf das Bauchgefühl hören
Mein Umfeld verstand mich nicht. Jeder riet mir, ich solle mich auf meine berufliche Zukunft konzentrieren, mich informieren, nötige Schritte in die Wege leiten. Ich könne doch nicht einfach – ja wie sagten sie? - „Weglaufen“.
Ich nickte, hörte zu, blieb jedoch stur.
Warum? Weil das Ganze für mich kein Weglaufen war.
Eher ein Finden.
Doch mehr dazu gleich.
Neu gewonnenes Gefühl der Freiheit
Als ich am 1.1. des neuen Jahres in den Zug stieg, erfasste mich etwas bis dahin Unbekanntes: Das Gefühl von Freiheit.
Plötzlich war alles möglich, alles war drin. Ich konnte tun und lassen, was ich wollte. Während alle anderen morgens aufstanden und sich zur Arbeit schleppten war mein Weg offen. So etwas kannte ich nicht.
Was ich jedoch sehr gut kannte: Ein rotierendes Zahnrad im Getriebe sein. Funktionieren. Ja nicht auffallen und immer geradlinig seinen Weg gehen. Wohin der auch immer führte.
Zweifel treffen Mut
Das neue Gefühl tat mir gut, doch da waren auch Zweifel. Würde ich alleine zurechtkommen? Wie sollte ich mich im fremden Land zurechtfinden ohne überhaupt die Sprache zu sprechen? Würde ich mich nicht wahnsinnig alleine fühlen so weit weg von meinen Lieben? Wem sollte ich mich in einer Notsituation anvertrauen?
Trotz all dieser Zweifel blieb ich bei meinem Plan und lernte dabei gleich meine allererste Lektion in Sachen Selbstfindung:
Packe die Dinge an, die du willst. Trotz deiner Angst. Mit deiner Angst.
Diese Lektion besagt: Wenn du vor etwas Angst hast, ist das ok. Es ist menschlich. Wir alle fürchten uns vor dem Unbekannten. Doch das heißt nicht, dass du einen Weg nicht trotzdem gehen kannst. Nimm die Angst einfach mit und betrachte sie als Teil von dir.
Erste Schritte in der Fremde
Als ich im Zielland ankam, war ich völlig alleine. Um mich herum hektische Menschen, ein riesiges Gewusel. In der Tasche hatte ich eine Adresse. Die erste im neuen Land. Die einzige.
Mit Händen und Füßen fragte ich mich durch und kam – entgegen meiner ursprünglichen Aussagen - erst mitten in der Nacht an. Es war mir peinlich und mein Gesicht färbte sich rot, doch das war egal. In meiner Unterkunft hatte jemand bei Kerzenschein auf mich gewartet. Er begrüßte mich mit freundlichem Gesicht. Wir sprachen kurz. Dann wurde ich in ein kleines Zimmer mit einem schmalen Bett geführt. Das Zimmer war schön, doch das war nicht das Entscheidende.
Das Entscheidende war das:
An diesem für mich so fremden Ort fühlte ich mich willkommen. Mit all meinen Unsicherheiten, Fehlern und offensichtlichen Sprachdefiziten.
Menschsein verbindet, egal wo du bist. Die zweite Lektion in Sachen Selbstfindung.
Neue Eindrücke und neue Lebenslust
Am nächsten Tag erwachte ich bei strahlendem Sonnenschein. In meinem Zimmer war es ruhig, draußen jedoch herrschte das hektische Treiben einer großen Stadt. Voller Neugier machte ich mich auf, diese zu erkunden.
Was ich sofort wahrnahm: Unbekannte Gerüche, eine fremde Sprache, wild gestikulierende Menschen, Lärm. Jedoch auch: In der Sonne sitzende Menschen, herumtobende Kinder, ein quietschgelber Motorroller (beladen mit vier Personen - in Deutschland völlig undenkbar!), von irgendwoher tönte Klaviermusik.
Kurz gesagt: Ich spürte sofort die Lebensfreude der Einheimischen.
Um mich herum tobte alles – im positiven Sinne. Keine Spur mehr von einem tristen, grauen Deutschland.
Zwischen Neugier und Unsicherheit
Die Monate vergingen. Ich reiste herum, lernte – zumindest rudimentär - die fremde Sprache, erarbeitete mir alles Neue Stück für Stück. Irgendwann traf ich auf Menschen, die wie ich im Land nicht zuhause waren und freundete mich mit ihnen an. Im Team fällt vieles leichter, das erkannte ich schnell. Man fühlt sich aufgehoben, beschützt. Manchmal auch verstanden in seinen landestypischen Eigenheiten.
Trotzdem machte ich mein eigenes Ding und tat, was ich wollte. Ich wollte meinen Ängsten immer wieder aufs Neue begegnen, mich nicht von ihnen unterkriegen lassen. Im Ausland gab es nämlich vieles, wovor ich mich fürchtete z.B. mich mit Einheimischen zu unterhalten (ohne mir dabei wie ein völliger Analphabet vorzukommen!), Tickets zu kaufen, Trips und Unterkünfte zu organisieren usw. Meine Selbstzweifel waren enorm. Meine Sprachdefizite auch.
Selbstvertrauen und innere Stärke
An eine ganz bestimmte Szene erinnere ich mich heute noch. Ich saß in einem Taxi und lies mich zu einer berühmten Sehenswürdigkeit kutschieren. Auf dem ganzen Weg erklärte ich dem Fahrer in seiner Landessprache, dass ich seine Sprache überhaupt nicht sprechen und ihm deswegen auch nur sehr wenig über mein Herkunftsland erzählen könne.
Der Fahrer lachte, lauschte und fragte trotzdem immer wieder nach. Am Ende grinste er und meinte: „So. Jetzt haben Sie mich aber trotz ihrer ganzen Sprachdefizite doch ganz wunderbar über sich und Ihr Heimatland aufgeklärt.“ Da kam es mir: Wo er recht hatte, hatte er recht. Ohne es zu merken, hatte ich die ganze Fahrt über wie ein Wasserfall geplappert. Und zwar in einer mir völlig fremden Sprache!
Das war also Lektion 3 meiner Selbstfindung. Sie lautet:
Lasse dich niemals von deinen Selbstzweifeln unterkriegen. Stattdessen vertraue auf dich und deine Fähigkeiten. Der Rest ergibt sich von alleine.
Sehnsucht nach der Heimat
Ich lebte ziemlich lange ziemlich gut in diesem mir so fremden Land. Ich hatte Leute, mit denen ich mich treffen konnte, genoss die Kultur, hatte Spaß und erlebte täglich Neues. Doch irgendwann änderte sich das. Irgendwann holte mich das triste, graue Winterdeutschland ein. Doch es war nicht das Land an sich, das mir im Magen lag. Es war etwas Tieferes: Die Sehnsucht nach meinen Freunden und der Familie.
Ich vermisste es, mit ihnen zu sein und an ihrem Leben teilzunehmen. Ich vermisste den Austausch, den persönlichen Kontakt, das sich „mal eben auf einen Kaffee treffen und über das Leben quatschen“ können. Ich wollte wieder Kontakt zu meinen Eltern haben. Guten Kontakt.
Das alles fehlte mir so stark, dass es mich fast körperlich schmerzte. Zum Glück besuchte mich gerade zu diesem meine beste Freundin und wir hatten eine richtig geile Zeit. Das änderte einiges und ich fühlte mich wieder wohl – auch im fremden Land.
Das führt mich übrigens gleich zur vierten Lektion meiner Selbstfindung: Heimat ist da, wo die Menschen sind die du liebst und die dich lieben. Ganz egal, wo das ist.
Rückkehr mit neuer Lebenserfahrung
Am Ende kehrte ich trotzdem nach Deutschland zurück. Dazu muss ich sagen: Deutschland war immer noch gleich, ich jedoch war bei meiner Rückkehr eine andere.
Ich hatte viel gelernt, gesehen, erfahren und erlebt. Alle diese Erfahrungen machten mich reicher. Sie veränderten mich. Zum Positiven.
Von diesen Erfahrungen im Ausland profitiere ich heute noch. Wenn ich heute vor einer Aufgabe stehe, vor der ich mich ängstige erinnere ich mich immer an meine Vorgehensweise im Ausland, sobald ich auf Unbekanntes stieß:
Ich ging Schritt für Schritt vor. In meinem eigenen Tempo, auf meine eigene Art.
Auf diese Art und Weise habe ich alles gemeistert, was sich mir im Leben präsentierte. Die letzte Lektion in Sachen Selbstfindung.
Sabbatjahr als Lehrmeister
Danke also liebes Ausland für diese große und unglaubliche Erfahrung. Du warst der beste Lehrmeister überhaupt. Durch dich habe ich wahnsinnig viel über eine fremde Kultur, Sprache und Menschlichkeit gelernt. Am allermeisten jedoch über: Mich selbst.
Wer mehr über die Themen Selbstfindung, Sinnfindung und Persönlichkeitsentwicklung erfahren möchte, findet unter www.meinweg-deinweg.de Nicole Zeitlers vollständige Plattform. Viel Spaß!